Gender Diversity

Wenn Frauen reden

Kennen Sie das Phänomen: Männer bringen es kurz und knapp auf den Punkt und Frauen holen immer weit aus? Soweit die gängige Wahrnehmung. Die Fakten allerdings sprechen eine ganz andere Sprache. Bereits vor 30 Jahren belegte die Universität von Sussex, dass die Voreingenommenheit der Zuhörenden zu einer falschen Wahrnehmung führt. So wurden die Redebeiträge von Frauen, sowohl von Probanden wie auch Probandinnen als wesentlich länger bewertet als die der Männer. Faktisch hatten die Frauen jedoch die absolut gleiche Sprechzeit wie die Männer. Prägend wirkt sich vor allem das innere Rollenbild aus, was jede/r von uns im Kopf hat, wenn er oder sie eine Frau oder einen Mann sprechen hört. Dazu kommen Fehleinschätzungen der Sprechgeschwindigkeit, wie auch die persönliche Einstellung der Zuhörenden zu sozialen Rollen oder der Wahrnehmung von Machtverhältnissen.

Apropos Macht. Die Johnson Cornell Universität zeigte 2011 auf, dass Machtgefühle bei Männern einen stark positiven Einfluss auf ihre Redseligkeit haben. «Mann» hört sich gerne selbst sprechen, je machtvoller «Mann» sich fühlt. Bei Frauen sei dies jedoch nicht der Fall, so die Studie. Denn sie befürchten, dass ihre Redseligkeit Gegenreaktionen provozieren könnte, ganz nach dem Motto: «Die labert endlos und ist geschwätzig.» Wie wir ja jetzt wissen, können wir das durchaus so empfinden. Die Behauptung ist aber nachweislich falsch.

Und wers immer noch nicht glaubt, der kanns jetzt sogar hören. Jüngst hat die Neue Zürcher Zeitung die Rededauer von Frauen und Männern im Zürcher Kantonsrat ausgewertet. Die Daten wurden akustisch hörbar gemacht und als Musikstück ins Netz gestellt. Der Geschlechterunterschied ist so frappierend, dass einem Hören und Sehen vergeht, besonders weil die Wahrheit das Vorurteil redseliger Frauen so eindeutig Lügen straft. In gewissen Parteien sprechen Parlamentarier gar 50 Prozent mehr als Parlamentarierinnen. 50 Prozent!

Ich halte für mich in Zukunft fest: Die Wahrnehmung von Sprechzeit ist höchst subjektiv. Es sind immer unbewusste Vorurteile mit am Werk. Für eine Frau heisst das, dass ihre Sprechzeit als wesentlich länger eingestuft wird, als sie faktisch ist. Also liebe Frauen, wenn Ihr das nächste Mal unterbrochen werdet: Einfach weiterreden. Und die Kantonsrätinnen unter Ihnen: Bitte mehr reden. Ihr müsst schliesslich aufholen … Nein, Spass beiseite. Es braucht eine ordentliche Portion Mut, um sich Gehör zu verschaffen und es braucht eine noch viel grössere Portion Durchhaltewillen, nämlich sage und schreibe dreissig Jahre nach der ersten Studie, im Jahr 2022 eine Kolumne zu diesem Thema zu schreiben.


Die Kolumne ist im August 2022 in der

Women in Business

erschienen.