Standortförderung

Swiss Giving Pledge!? Gesellschaftliches Engagement aus Unternehmersicht – eine Schweizer Standortanalyse


Swiss Giving Pledge!? Gesellschaftliches Engagement aus Unternehmersicht – eine Schweizer Standortanalyse


I. Der Ursprung des Giving Pledge

Alles begann im Jahr 2009, als David Rockefeller zu einem Dinner lud. Unter den geladenen Gästen befanden sich auch Warren Buffet und das Ehepaar Bill und Melinda Gates. Das  Thema des Abends: Philanthropie. Der Austausch war anscheinend äusserst anregend und für alle Beteiligten hoch interessant, denn die Teilnehmer hatten die Möglichkeit – sozusagen unter sich – ihre philanthropischen Engagements vorzustellen.

Es verwundert also nicht, dass die Diskussion an zwei weiteren Abendessen weitergeführt wurde. Im Verlaufe dieser drei Treffen wurde schliesslich die Idee des Giving Pledge geboren. Beim Giving Pledge (dt.:»die moralische Selbstverpflichtung sich gesellschaftspolitisch zu engagieren») verspricht jedes Mitglied, die Mehrheit seines Vermögens zu Lebzeiten oder spätestens im Zeitpunkt des Todes für gemeinwohlorientierte Zwecke einzusetzen. Bis heute haben sich gut 100 von den rund 400 amerikanischen Milliardären dem Giving Pledge angeschlossen. Der Ursprung der Idee stammt von Warren Buffet, der sich schon früher dazu verpflichtet hatte, 99% seines Vermögens – das zum Zeitpunkt dieser Ankündigung 44 Milliarden Dollar wert war – an die Bill & Melinda Gates Stiftung zu verschenken. Es ist die Philosophie, die hinter dem Giving Pledge steht, die ich bemerkenswert finde und weshalb ich Ihnen diese Geschichte erzähle.



II. Die Philosophie des Giving Pledge

Der Giving Pledge will eine Gruppe von Philanthropen – oder solche, die es noch werden wollen – zusammen bringen, sodass sie voneinander lernen können. Man will Ideen austauschen und sich gegenseitig inspirieren. Und – um die gesellschaftliche Wirkung der Philanthropie zu steigern – soll dann auch über das Gute, das man tut, in der Öffentlichkeit gesprochen werden. Potentielle Spender sollen auf diese Weise angeregt werden, es gleich zu tun. Sie sollen dazu motiviert werden, auch zu diesem Kreis der Philanthropen gehören zu wollen. Und dies im «Hier und Heute». Denn – so die Überzeugung der Initianten – jeder soll sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen und bereit sein, einen Beitrag zu leisten. Und das nicht nur mit Geld, sondern auch mit Wissen, Zeit, Talent und seinem Netzwerk. Ich kann mich diesen Überlegungen und Überzeugungen sehr gut anschliessen.

Und ich würde sogar einen Schritt weiter gehen. Nicht nur sollten wir uns fragen, ob sich eine solche Gruppe auch in der Schweiz formieren könnte. Vielmehr sollten wir von Beginn an versuchen, Themen anzugehen, die von Staat und Privatwirtschaft zu wenig bis gar nicht berücksichtigt werden, obwohl sie für die Gesellschaft von immenser Bedeutung sind. Und genau das ist es auch, was die Müller-Möhl Foundation machen will. Trotz meiner ursprünglichen Abneigung, den bereits existierenden 12’715 gemeinnützigen Stiftungen in der Schweiz eine weitere hinzuzufügen, habe ich mich im letzten Jahr dazu entschlossen, eine «eigene» Stiftung, die Müller-Möhl Foundation, zu gründen. Sie will Plattform sein für ein gelebtes, engagiertes und liberales Bürgertum und wird sich vorderhand auf drei Themen fokussieren. Themen, die aus unserer Sicht von Staat und Privatwirtschaft zu stiefmütterlich behandelt werden: Dazu gehört die Bildung, wobei es uns dabei vor allem um die Frühförderung und die Finanzkompetenz von jungen Menschen geht; ein zweites Betätigungsfeld bildet die Förderung von Gender Diversity, wobei es uns darum geht, dass Mann und Frau gemeinsam die Verantwortung für eine produktive, effiziente, unabhängige und zufriedene Gesellschaft tragen; drittens geht es uns um die Förderung des Wirtschafts- und Stiftungsstandortes Schweiz. Diese Förderung wird zwar von allen gefordert, geht aber im Kampf um die eigenen Interessen oft unter. Verpflichtet fühlen wir uns dabei weder einer politischen Partei noch einer privatwirtschaftlichen Agenda, sondern wollen unsere unabhängige Stellung nutzen, um Schlüsselakteure miteinander zu vernetzen. Damit wir dies tun können, brauchen wir echte Kooperation. Stiftungen müssen miteinander arbeiten und dürfen nicht um dasselbe konkurrieren.



III. Swiss Giving Pledge – möglich?


In diesem Sinne wollen wir auch eine schweizerische Version des Giving Pledge andenken. Die Frage, die sich uns jedoch stellt, ist: Kann eine Initiative wie der Giving Pledge ausserhalb der USA funktionieren? Kulturelle Einwände wie etwa derjenige, dass der Giving Pledge nur deswegen von Erfolg gekrönt sei, weil in den USA eine andere Kultur des Gebens8 existiere, sind natürlich berechtigt. Spenden gehört für wohlhabende Amerikaner zum guten Ton. Nicht zu spenden ist in den USA geächtet und führt zum Ausschluss aus der feineren Gesellschaft. «Wer reich stirbt, stirbt in Schande», kritisierte bereits 1889 der Stahl-Tycoon und Industrielle Andrew Carnegie in seinem Buch «Das Evangelium des Reichtums». Der Grundsatz «Reichtum verpflichtet» ist ein essentieller Teil der amerikanischen Zivilisation.


Zwar sind auch Schweizer Bürger gut im Spenden.Aber im Gegensatz zu den USA findet Wohltätigkeit in der Schweiz meist im Verborgenen statt. Dass beim Giving Pledge auch die Person des Spenders sichtbar ist, widerspricht typischen «Schweizer Tugenden» wie Nüchternheit, Pragmatismus, Bodenständigkeit und Bescheidenheit.


Unser Credo lautet: «Tue Gutes und sprich nicht darüber» oder wie es im «Basler Daig» gerne heisst: «Me git, aber me sait nyt». Genau wenn es um diese Haltung geht, glaube ich, dass man in der Schweiz etwas verändern kann und muss. Zwar ist klar, dass wir unsere Bescheidenheit beibehalten wollen, aber wir sollten uns auch folgenden Grundsatz auf die Fahnen schreiben: «Tue Gutes und sprich darüber!» Denn beim Giving Pledge geht es nicht darum, sich mit seinem Handeln ins Rampenlicht zu stellen, sondern darum, alle Mittel und Möglichkeiten, die man zur Verfügung hat, auszuschöpfen, um etwas zu bewegen und auch die breitere Öffentlichkeit für die Philanthropie zu begeistern. Mit einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit könnten wir die Gesellschaft, die Politik und auch die Wirtschaft auf ganz spezifische gesellschaftsrelevante Probleme aufmerksam machen und zeigen, dass es Wege gibt, solche Probleme zu lösen. Apropos Öffentlichkeit: Die Schweizer stehen der Philanthropie auch darum kritisch gegenüber, weil sie sich als «Hüter der Demokratie» verstehen. Insbesondere in staatlichen Hoheitsgebieten, wie beispielsweise dem Bildungs- und Gesundheitswesen, steht die Öffentlichkeit privaten Initiativen skeptisch gegenüber – der Staat soll die alleinige Verantwortung tragen. Sollen vermögende Privatpersonen anstatt zu spenden also einfach mehr Steuern zahlen und die Lösung gesellschaftspolitischer Probleme dem Staat überlassen? Nein, das kann meines Erachtens nicht die Lösung sein. Denn Erstens: Wenn man einen Blick auf die Zahlen der Spendenstatistik wirft, sieht man, dass die Summe aller Privatspenden in der Schweiz gerade mal 0.5% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. In den USA liegt der Prozentsatz mit 1.7% mehr als dreimal so hoch. Dies sind zwar absolut gesehen beträchtliche Summen, sie reichen jedoch kaum aus, um die Aktivitäten des Staates zu ersetzen oder gar in Konkurrenz zu staatlichen Leistungen zu treten. Dem entsprechend sollten Bürgerinnen und Bürger, die sich dazu entschliessen, über ihre Steuerzahlungen hinaus einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten, mit offenen Armen empfangen werden.


Der Staat mit seinen Behörden und öffentlich-rechtlichen Anstalten, wie den Universitäten, muss lernen, diese Unterstützung von Stiftungen oder Privaten anzunehmen. Es darf nicht sein, – wie ich es auch schon erfahren habe – dass aus Angst um das eigene Gärtlein Türen zugeschlagen werden und auf diese Weise wichtiges gesellschaftliches Engagement im Keim erstickt wird. Denn – so ein wichtiges zweites Argument – es gibt immer gesellschaftliche Bedürfnisse, die weder der Staat noch die Privatwirtschaft befriedigen können oder wollen. Trotz unseres Wohlstandes gibt es in unserem Land Lücken, die bislang von niemandem abgedeckt werden.


Dieser Befund war ein weiterer Grund, die Müller-Möhl Foundation ins Leben zu rufen. Wir wollen versuchen, gemeinsam mit Anderen auf diese Lücken aufmerksam zu machen, und wir wollen versuchen, sie über die Zeit zu schliessen. Es gibt aber noch ein ganz anderes, entscheidendes Argument für den Giving Pledge: Professionelle Stiftungen haben die Unabhängigkeit und den Freiraum, innovativer zu denken und zu handeln, als dies staatlichen Institutionen möglich ist. Stiftungen sind Geburtsstätten für neue Ideen. Es braucht sie, weil sie – ausserhalb bürokratischer Institutionen oder dem unmittelbaren privatwirtschaftlichen Profitabilitätsdruck – die gesellschaftlichen Probleme einmal von einer ganz anderen Seite betrachten und anpacken können.


Der viel zu früh verstorbene Otto Ineichen hat genau das getan, als er begann «Speranza» aufzubauen. Die Organisation ging neue Wege auf dem Gebiet der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Unterstützung von Jugendlichen mit Problemen. Ineichen hat sich übrigens nicht gescheut, darüber zu reden. Er hat gezielt die Medien und seine Netzwerke für die Förderung der Sache eingesetzt. Der Erfolg in der Sache gibt ihm Recht.



IV. Swiss Giving Pledge – wünschenswert!


Ich glaube dass ein Swiss Giving Pledge möglich und wünschenswert ist. Gerade der attraktive Stiftungsstandort Schweiz mit seinen optimalen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen kann und muss maximal genutzt werden.


Und in einem sind wir uns vermutlich einig, unternehmerische Attribute wie harte Arbeit, eine kluge Investitionsstrategie und das Streben nach Wohlstand sind ebenfalls typisch für die Schweiz. Diese Charaktereigenschaften, kombiniert mit der Leidenschaft für Innovation, brachten schliesslich die grossen Schweizer Unternehmer, wie die Familien Hoffmann-Oeri, Schmidheiny und Jacobs, einen Nick Hayek oder Hans-Jörg Wyss hervor. Obwohl viele Unterschiede zu den USA bestehen, liegen genau hier die Parallelen zu Warren Buffet und dem Ehepaar Gates. Bevor sie zu Philanthropen wurden, waren sie vor allem eines: brillante Unternehmer und Investoren.


Mit ihrer Idee des Giving Pledge machen sie nichts anderes, als ein weiteres Mal innovativ und unkonventionell einen neuen Trend zu setzen. Mit hochprofessioneller Stiftungsarbeit sind sie erneut Leader und Vorbild geworden. Sie verkörpern einen Paradigmenwechsel des Gebens, denn traditionelle Wohltäter sind spätestens nach dem Buch «Dead Aid» (2009) der Ökonomin Dambisa Moyo, welches das Ende der klassischen Entwicklungshilfe und einseitigen Abhängigkeit propagiert, aus der Mode gekommen. Philanthropen von heute verstehen sich nicht mehr als soziale Spender, sondern als soziale Investoren, die nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch ihre unternehmerische Erfahrung und ihr Netzwerk für die gute Sache zur Verfügung stellen. Sie wollen «etwas erreichen und Probleme lösen», wie es Bill und Melinda Gates formulieren und investieren so in das Gemeinwohl.


Ein Problem muss umfassend analysiert werden, um es zu lösen. Hierfür ist eine gesamtheitliche Strategie zu entwickeln. So gibt die Bill & Melinda Gates Foundation nicht einfach Geld für die Beschaffung von Heilmitteln gegen Malaria, sondern kümmert sich von der Grundlagenforschung bis zum besten Verteilungssystem der Medikamente um die ganze «Wertschöpfungskette». Unternehmerisch heisst zudem selbsttragende Lösungen zu erarbeiten. So lancierte die Bill & Melinda Gates Foundation kürzlich einen Forschungswettbewerb mit dem Ziel eine robuste, einfach zu reinigende Toilette zu erfinden, die ohne Kanalisation und Fremdenergie auskommt, in Stoffkreisläufe integriert ist und pro Tag und Nutzer nicht mehr als 5 Cent kostet. Der Gewinner ist übrigens ein Team des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag in Dübendorf und des Wiener Design-Büros EOOS.


Professor J. Gregory Dees von der Duke’s Fuqua School of Business Center for the Advancement of Social Entrepreneurship (CASE) definiert Philanthropie neu als «die Mobilisierung privater Ressourcen, um mit Geld, Zeit, sozialem Kapital und Expertenwissen die Welt, in der wir leben, besser zu machen». Die klassische Trennung zwischen Unternehmertum und wohltätigem Stiften verschwimmt zusehends. Ein Unternehmen will Gewinn generieren. Genau dasselbe sollten wir Philanthropen auch wollen, mit dem bedeutenden Unterschied, dass der Gewinn nicht in unsere eigenen Taschen fliesst, sondern volkswirtschaftlichen Wohlstand generieren soll, der allen gleiche Chancen für ein erfülltes und produktives Leben einräumt.


Die Erfinder des Giving Pledge haben Mut und Weitsicht bewiesen. Man muss etwas wagen, um etwas zu erreichen. Und deshalb ist der Giving Pledge nicht einfach eine gelungene PR-Kampagne für die reiche Oberschicht. Der Giving Pledge möchte eine Bewegung sein, die möglichst viele Mitstreiter gewinnt. Einverantwortliches Bürgertum soll sich schon früh und ernsthaft mit der Philanthropie auseinandersetzten. Ein gegenseitiges, öffentliches Bekenntnis zur Philanthropie soll ermutigen, weiter zu denken.


Dieses Bekenntnis soll dazu beitragen, voneinander zu lernen und Synergien zu nutzen, um zu zeigen, dass gesellschaftspolitisches Engagement Freude bringt, weil es bewegen kann! Nur gemeinsam können wir Ansätze finden, um gesellschaftspolitische Probleme zu lösen und andere zu ermutigen, es uns gleich zu tun. Aus all diesen Gründen sollte ein Swiss Giving Pledge angedacht werden. Und deswegen stehen meine Türen für all diejenigen, die sich mit dieser Art von Philanthropie beschäftigen möchten, weit offen.


Erschienen in: Jakob, D. (2012). Stiften und Gestalten – Anforderungen an ein zeitgemässes rechtliches Umfeld. Basel: Helbing & Lichtenhahn Verlag.