Standortförderung

Calli will selber machen


Die Unternehmerin Carolina Müller-Möhl über ihre Erziehung und die Frage, warum Firmen keine unabhängigen Verwaltungsräte wollen

von Peer Teuwsen



DIE ZEIT:

Frau Müller-Möhl, bedauern Sie es manchmal, so schön und so reich zu sein?


Carolina Müller-Möhl:

Das sind nicht die wesentlichen Elemente in meinem Leben, beides kann man verlieren. Werte wie Bildung oder Eigenständigkeit sind mir viel wichtiger. So bin ich auch aufgewachsen.


ZEIT:

In Interviews wehren Sie sich gegen die ständige Reduzierung Ihrer Person auf Äußerlichkeiten. Es ist so, als wären Sie erst mit dem Flugzeugabsturz Ihres Mannes am 3. Mai 2000 geboren worden. Wie erklären Sie, dass bei Ihnen Fremd- und Selbstbild so auseinanderklaffen?


Müller-Möhl:

In der Begegnung mit Menschen empfinde ich das nicht so – oder, sagen wir, nicht mehr so. Ich werde meist sehr zuvorkommend und respektvoll behandelt. Ich erhalte immer wieder von wildfremden Menschen Komplimente für meine Leistungen oder Zuspruch für meine Engagements.


ZEIT:

Sie bezeichnen sich selbst als skeptischen Menschen. Hat dies mit diesem Fremdbild zu tun?


Müller-Möhl:

Nein. Dies hat damit zu tun, dass in meiner Position immer wieder Menschen auf mich zukommen, die nichts wirklich Gutes vorhaben. Skeptisch war ich immer schon.


ZEIT:

Warum?


Müller-Möhl:

Weil meine Eltern mich dazu erzogen haben, die Dinge kritisch zu hinterfragen. Wir hatten immer eine rege Diskussionskultur, die auf eine redliche Argumentation achtete. Politische, ethische und religiöse Haltungen waren nie vorgegeben. Meine Schwester und ich waren gezwungen, uns zu allem ein eigenes Bild zu machen.


ZEIT:

Sie wurden brutal ins Leben geworfen. Sie kamen mit 12 Jahren ins deutsche Internat Salem.


Müller-Möhl:

Ich hatte keine konventionelle Kindheit. Wir sind häufig umgezogen, ich musste mich immer wieder umgewöhnen. Beide Eltern waren voll berufstätig. Und in der Tat war ich sehr jung, als ich ins Internat kam. Aber das war mir eine gute Lehre.


ZEIT:

Warum?


Müller-Möhl:

Ich war auf mich allein gestellt, musste mich früh auf andere Menschen einlassen. Da muss man seine eigene Position wohl entschiedener verteidigen, als wenn man jeden Abend heim zu den Eltern kommt.


ZEIT:

Sie wurden relativ schnell Schulsprecherin in Salem. Das zeigt einen gut ausgebildeten Ehrgeiz.


Müller-Möhl:

Ich mag den Begriff Ehrgeiz in diesem Zusammenhang nicht. Aber ich habe gerne die Zügel in der Hand und liebe es, selber zu gestalten. Erst kürzlich habe ich meine Mutter danach gefragt. Sie sagte mir, ich hätte schon als kleines Mädchen gesagt: »Calli will selber machen.«


ZEIT:

Sie haben sich selbst »Calli« genannt?


Müller-Möhl:

Ja. Und dieser Wille zur Eigenständigkeit hat sich erhalten. Ich habe nach acht Jahren Salem entschieden, auch mein Politologiestudium im Ausland zu organisieren. Daraus wurden Aufenthalte in Heidelberg, Berlin, London und New York.


ZEIT:

Wusste »Calli« auch, was sie wollte – nicht nur, dass sie wollte?


Müller-Möhl:

Ich hatte nie strategische Lebensziele. Ich wusste nicht wie andere mit 20, dass ich mit 27 Jahren heiraten, mit 28 Kinder haben und mit 38 in einer geschäftsleitenden Position sitzen werde.


ZEIT:

Mit Ihrem Ehrgeiz haben Sie viel erreicht. Sie exponieren sich, mischen sich ein. Das ist ungewöhnlich. Sie könnten sich mit einem geschätzten Vermögen von rund einer halben Milliarde Franken heute zur Ruhe setzen.


Müller-Möhl:

Ungewöhnlich ist wohl, dass ich gerne meine Meinung äußere oder, besser, dass ich meine Meinung zur Debatte stelle. Aber so ungewöhnlich ist das eigentlich nicht, vielleicht ist es ungewöhnlich für die Schweiz.


ZEIT:

Das ist das große Missverständnis bei Ihnen. Sie kommen von unten und nicht von oben.


Müller-Möhl:

Eher aus dem Mittelstand. Aber ja, heute verfüge ich über ein großes Vermögen und trage die Verantwortung, dieses Kapital weise einzusetzen, sei es in der neu gegründeten Müller-Möhl Foundation oder in unserem Single Family Office.


ZEIT:

Was macht Sie stark?


Müller-Möhl:

Dass ich in meinem Leben immer wieder recht bekommen habe. Im Jahr 2000, als ich nach dem Tod meines Mannes plötzlich in der Pflicht stand, war mir beispielsweise nicht klar, dass wir 2012 über eine gute Liquidität verfügen, keine Schulden haben und unsere Investments eine gute Rendite erzielen würden. Heute haben wir das erreicht. Dieser Erfolg stärkt mich.


ZEIT:

Sie sind eine der mächtigsten Frauen der Schweizer Wirtschaft. Das haben Sie sich erarbeitet, zum Beispiel indem Sie sich eingemischt haben. So konnte man lesen, dass Sie damals als jüngste und einzige weibliche Verwaltungsrätin von Nestlé das Doppelmandat von Peter Brabeck als Verwaltungsratspräsident und Konzernchef kritisierten. Haben Sie das der Sache wegen getan oder um sich eine Stellung im Gremium zu erarbeiten?


Müller-Möhl:

Jede Situation hat ihre Geschichte, und sie ist dann auch Geschichte. Die öffentliche und veröffentlichte Meinung darüber, was ein Verwaltungsrat in der Schweiz tun soll und kann, hat oft wenig damit zu tun, was selbst ein gut funktionierender Verwaltungsrat wirklich zu leisten vermag. Hier muss mehr Verständnis und Transparenz geschaffen werden. Der Verwaltungsrat hat heute eine schwierige Rolle: Unsichere Märkte, zunehmende regulatorische Einflüsse, die Komplexität der globalisierten Märkte sind große Herausforderungen. Um diese zu meistern, braucht es, neben professioneller Kompetenz, die Fähigkeit, das Management richtig einzuschätzen und seine Arbeit kritisch zu hinterfragen. Und der Verwaltungsrat muss möglichst breit abgestützt sein, geografisch, inhaltlich, aber auch, was die Vertretung der Frauen anbelangt. Doch das wichtigste Kriterium ist die echte Unabhängigkeit, die Eigenständigkeit und Entscheidungsfähigkeit der Mitglieder. Ich versuche das zu leben, aber manchmal erschrecke ich vor meinem eigenen Mut.


ZEIT:

Wann sind Sie mal erschrocken?


Müller-Möhl:

Ich erschrecke dann, wenn ich auf Ablehnung stoße, deren Gründe aber nicht offen kommuniziert werden. So kann man seine Position schlecht verteidigen.


ZEIT:

Sie sind eine aktive Verwaltungsrätin, Sie engagieren sich, Sie widersprechen. Das ist gar nicht vorgesehen im System.


Müller-Möhl:

Doch, das wäre im Gesetz schon vorgesehen. Das Gesetz überträgt dem Verwaltungsrat eine riesige Verantwortung. Gerade deshalb ist echte Unabhängigkeit und Integrität der Mitglieder gefragt. Sie dürfen nicht korrumpierbar sein wegen der guten Bezahlung oder weil die Mandate wichtig sind. Jede Firma müsste die kritisch-konstruktive Haltung der Mitglieder so gut befördern wie nur möglich. Sie müssen zum Konflikt befähigt sein und werden. Nur wenn das geübt wird, kann ein Verwaltungsrat in Krisen richtig und als Team handeln. Oder aber das Gesetz muss umgeschrieben werden.


ZEIT:

Finden Sie es verantwortungslos, wenn einer in 20 Verwaltungsräten sitzt?


Müller-Möhl:

Ja, das ist verantwortungslos. Was aber viel entscheidender ist: Ein Verwaltungsrat kommt heute wenige Male pro Jahr für nur einige Stunden zusammen. Das ist zu wenig. Besser wären mehr Sitzungen und ein Verwaltungsratspräsident, der mindestens eine 30-Prozent-Stelle hat.


ZEIT:

Ist es in einem so kleinen Land wie der Schweiz nicht besonders schwierig, gute, unabhängige Verwaltungsräte zu finden?


Müller-Möhl:

Nein, vor allem weil viele Firmen heute immer internationaler ausgerichtet sein müssen. Das muss sich in der Besetzung des VRs spiegeln. Die Beschränkungen einiger Verwaltungsräte haben vor allem mit der Firmenkultur zu tun, die wirklich unabhängige Verwaltungsräte nicht so gerne sieht.


ZEIT:

Kennen Sie Ihre eigenen Schwächen?


Müller-Möhl:

Oh ja, die kenne ich.


ZEIT:

Und?


Müller-Möhl:

Ich bin sehr empfindlich.


ZEIT:

Wie kommt Ihnen als Wirtschaftsfrau die Zuwanderungsdebatte vor?


Müller-Möhl:

Diese Debatte so abwehrend, so negativ zu führen ist unintelligent. Denn Zuwanderung passiert ohnehin. Wir haben ja keine Mauer um unser Land, und ernsthaft will sie wohl auch niemand bauen.


ZEIT:

Warum sind nicht mehr Schweizerinnen so wie Sie?


Müller-Möhl:

Es gibt diese Frauen. Sie sind aber weniger gut sichtbar als ich oder haben einen anderen Weg eingeschlagen.


ZEIT:

Wir brauchen mehr Frauen in wirtschaftlich verantwortungsvollen Positionen. Es passiert aber wenig. Die Standardantwort lautet dann, es sei immer noch zu schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren.


Müller-Möhl:

Ich habe schon sehr große Hoffnungen, dass die mittlerweile über 50 Prozent der Studienabgängerinnen in der Wirtschaft eine Rolle spielen werden. Bislang ist das aber noch nicht so. Viele Frauen ziehen sich zurück oder arbeiten in kleinen Teilzeitpensen, wenn sie Mütter werden. Das ist volkswirtschaftlich nicht besonders schlau, wenn diese Frauen mittels viel Steuergeldern ausgebildet worden sind.


ZEIT:

Gibt es noch eine Partei in diesem Land, die Sie interessant finden?


Müller-Möhl:

Ich hoffe, dass die Freisinnigen noch für die Werte stehen, die ich mit Leidenschaft lebe. Das liberale Gedankengut ist mir sehr wichtig. Darum sind wir dabei, die Müller-Möhl Foundation zu gründen. Das wird keine reine Wohltätigkeitsinstitution sein, sondern eine Plattform für gelebtes, engagiertes und liberales Bürgertum. Die Stiftung will aktiv sein dort, wo sich Staat und Privatwirtschaft zu wenig engagieren. Wir wollen mithelfen beim Erarbeiten und Umsetzen von Lösungen und werden deshalb den konstruktiven Dialog anstatt die ideologische Debatte fördern. Unsere Themen sind Bildung, Diversity und die Förderung des Wirtschafts- und Stiftungsstandortes Schweiz.


ZEIT:

Ist es einfach, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?


Müller-Möhl:

Nach meinem Wissensstand ist noch nie jemand gegangen, weil er nicht mit mir zusammenarbeiten konnte oder wollte.


ZEIT:

Wer sagt Ihnen ehrlich die Meinung?


Müller-Möhl:

Alle in meinem engen Umfeld.


ZEIT:

Sind Sie nicht der Meinung, dass Sie selbst Ihre beste Kritikerin sind?


Müller-Möhl:

Es ist schon so, dass mein Umfeld mir eher sagt, ich solle mal stolz sein auf das, was ich mache.