Standortförderung

Bei der Bildung darf nicht gespart werden

Wenn es um die ökonomische Zukunft der Schweiz geht, kann eine Frau ein gewichtiges Wort mitreden: Carolina Müller-Möhl, Präsidentin der gleichnamigen Investoren-Gruppe und Nestlé-Verwaltungsrätin.

Interview: Silvia Pfenniger



Frau Müller-Möhl, es wird in der Schweiz viel von Aufbruch geredet. Spüren Sie diesen?

Aufschwung kann man weder herbeireden noch herbeischreiben. Wir müssen der Realität in die Augen schauen, und die sieht nicht nur rosig aus. Es bringt nichts, wenn wir dies vertuschen. Logitech-Gründer Daniel Borel sagte vor kurzem in einem Interview, dass sich die Schweiz zurzeit in der Leugnungsphase befinde, der schlimmsten Phase überhaupt. Mit blossem Schönreden und dem Leugnen von Problemen und Schwächen lässt sich das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten nicht gewinnen.



Muss man ihnen nicht Hoffnung machen?




Ja, aber nicht auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Den erhofften breiten Aufschwung für alle Unternehmen gleichzeitig gibt es kaum. Manchen Firmen hierzulande geht es ja bereits sehr gut, denken Sie an die Pharmaindustrie. Andere haben zu kämpfen.



Ihre Unternehmensgruppe hält eine Beteiligung im medizinischen

Bereich

.

Wie hoch ist Ihr Anteil?


Wir halten einen substantiellen Minderheitsanteil an der Medizinaltechnikfirma Medica Holding. Das Unternehmen entwickelt und produziert Implantate und Prothesen für Knie-, Schulter- und Hüftgelenke. Die geografischen Schwerpunkte der Medica Holding sind Westeuropa, Asien und die USA.


Dazu kommen namhafte Beteiligungen bei Ascom, beim führenden Dienstleistungsunternehmen Asiens DKSH und bei den A&A Liegenschaften. Welches der Unternehmen braucht am meisten Aufmerksamkeit?

Unsere Gruppe will an Unternehmen, an denen wir beteiligt sind, langfristig einen aktiven Beitrag zur positiven Entwicklung leisten. Wir sind auch in den entsprechenden Verwaltungsräten vertreten und wissen, wann eine der Firmen vor ganz besonders grossen Herausforderungen steht und ein Sondereffort notwendig ist: zum Beispiel im letzten Jahr bei der Ascom, als es darum ging, ihr Überleben zu sichern.


Wen meinen Sie mit wir?

Jemanden von unserem internen Team, das aus vier Fachleuten besteht. Unser CEO Beat Näf ist im Verwaltungsrat von Ascom sowie der DKSH und ich in der Medica.


Haben Sie in den vergangenen Jahren Ihre Beteiligungen verändert?

Selbstverständlich, die Müller-Möhl-Gruppe ist kein statisches Unternehmen. Wir haben uns etwa von Arbonia Forster getrennt, weil die Interessen der Minderheitsaktionäre durch den Mehrheitsaktionär aus unserer Sicht nur ungenügend berücksichtigt werden, beispielsweise durch das Festhalten an heutzutage antiquierten Kapitalstrukturen oder ungelösten Fragen zur Corporate Governance.


Sie meinen Edgar Oehler? Worüber wurden Sie sich mit ihm nicht einig?

Im Unterschied zu Herrn Oehler bevorzuge ich es, meine vertraulichen Gespräche nicht in der Öffentlichkeit zu kommentieren.


Seit kurzem sind Sie auch VR von Nestlé…

…ein faszinierendes globales Unternehmen, das ich immer besser kennenlerne. Mehr dazu können Sie mich in einem Jahr fragen.


Stichwort Werkplatz Schweiz: Sind wir noch Spitze?

Auch hier muss man differenzieren: Wir sind, was die Ausbildungsqualität betrifft, noch immer recht gut. Auch im Qualitätsbereich haben wir noch einen Vorsprung. Ob dies aber reicht, um auch langfristig die Nachteile des enorm hohen Preis- und Lohnniveaus in der Schweiz auszugleichen, bezweifle ich. Ob Bildung, Produktivität, Innovation oder Preise: Die Schweiz schneidet im internationalen Vergleich zunehmend schlechter ab. Wir müssen der Realität in die Augen und über unseren Tellerrand hinausschauen.


Sie engagieren sich im Bildungssektor. Was sind Ihre Anliegen?

Ich unterstütze konkrete Initiativen gegen Gewalt an Schulen und engagiere mich im Rahmen des Pestalozzianums dafür, dass unsere Volksschulen nicht stillstehen. Unsere Gruppe unterstützt verschiedene Bildungsinstitute in der Schweiz. Bei der Bildung darf nicht gespart werden. Wir müssen alles daran setzen, um mit unseren intellektuellen Leistungen international nicht zurückzufallen.


Apropos zurückfallen: Was halten Sie von zunehmenden staatlichen Regulierungen?

Bedauerliche Vorfälle wie bei Enron haben zu strafferen Regulierungen und Einschränkungen geführt. Aber damit straft man auch die Mehrzahl der Firmen, die sich korrekt verhalten haben. Wer lügen und betrügen will, kann dies trotzdem tun. Da hilft es nicht, wenn man alle Unternehmen einschränkt. Ein Unternehmen muss atmen können, um sich zu entwickeln.


Das gilt auch und im Besonderen für Innovationen. Investieren Sie mit Ihrer Gruppe auch in junge Firmen?

Ich habe Freude am Besonderen, auch am Unkonventionellen. Deshalb investieren wir auch in junge Firmen. Auf Innovationen zu setzen braucht allerdings Mut, Stehvermögen und Geduld. Eine Innovation muss zudem auf dem Markt gefragt sein.


Worauf setzen Sie konkret?

Zum Beispiel auf den Biotech-Sektor. Ich glaube, dass Biotechnologie eine Zukunft hat. Es gibt noch immer viele Krankheiten, die unheilbar sind. Die Biotechnologie hilft, bei solchen Fragen Lösungen zu finden. Das ist sehr spannend.


Sie sind jung, attraktiv, reich und einflussreich– eine Herausforderung für unsere Neidgesellschaft. Wie erleben Sie dies?

Neid prägt unsere Zeit. Aber das ist auch verständlich: Wir haben in unserer Gesellschaft ein enormes Gefälle. Menschen, die hart arbeiten und wenig verdienen, dürfen, so empfinde ich das, durchaus neidisch sein auf jene, die ohne eigene Leistung im Luxus leben. Neid sollte aber nicht dazu führen, dass man Leistung nicht mehr anerkennt. Wer Besonderes leistet, sei es im Sport, in der Kultur oder in der Wirtschaft und Wissenschaft, der soll auch die entsprechende Anerkennung bekommen. Bei der Anerkennung könnten die Schweizer durchaus noch etwas zulegen, um so den Wettbewerb unter den Besten und damit nicht zuletzt die Schweizer Wirtschaft zu stimulieren.


Sie sind Mutter und Unternehmerin. Wie verkraften Sie diese Doppelrolle?

Eigentlich ist es für mich ein Ärgernis, dass diese Frage Frauen heute noch gestellt wird. Ich will mich engagieren, aus den Privilegien, die ich habe, etwas machen. Wäre ich ein Mann, fände man dies selbstverständlich, ja sogar lobenswert. Muss ich mich für das Gleiche rechtfertigen, weil ich eine Frau bin?


Gewiss nicht, aber mit der Mutterrolle verbindet man automatisch einen grösseren Aufwand als mit der Vaterrolle. Wie steht es mit dieser Doppelbelastung?

Das ist richtig, aber mit Belastung lässt sich besser umgehen, wenn Infrastrukturen wie Kinderkrippen da sind und man gut organisiert ist. Und organisieren können wir Frauen doch eigentlich besser als viele Männer. Natürlich gibt es Momente, in denen ich lieber bei meinem Sohn sein möchte als an einer langwierigen Sitzung. Aber ich nehme nun mal an, dass dies manchen Vätern nicht anders ergeht. Ausserdem zeigt meine Erfahrung, dass mein Sohn und ich die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, umso intensiver nutzen.


Was raten Sie Frauen, die weder auf Kinder noch auf eine Karriere verzichten wollen?

Ich hüte mich davor, anderen Frauen Ratschläge zu geben. Aber ich will und kann Mut machen. Wir Frauen können und müssen Grenzen überwinden. Grenzen, von denen Männer glauben, sie für uns setzen zu müssen.


Gibt es spezifische Stärken, die Frauen in die Wirtschaft einbringen?

Natürlich gibt es frauenspezifische Stärken in der Wirtschaft. Frauen sind weniger Konventionen verhaftet und sind sich eher gewohnt, Widerstände zu überwinden.


Männer profitieren hingegen von stärkeren Netzwerken.

Da Netzwerke vor allem in der Freizeit gepflegt werden, sind berufstätige Mütter oft im Nachteil, da sie nach der Arbeit nach Hause wollen und müssen. Doch dies sollte uns Frauen nicht daran hindern, die Vernetzung aktiv voranzutreiben. Ich mache dies täglich.


Wie würde das für Sie schönste Lob am Ende Ihres Lebens lauten?

Ich arbeite nicht an meinem eigenen Denkmal. Im Übrigen freue ich mich, wenn ich bereits heute hie und da Anerkennung für mein Engagement bekomme. Doch Lobesreden nach meinem Ableben, über das ich altersmässig noch nicht besonders häufig nachdenke, nützten mir nur wenig… Im Ernst: Ich lebe in der Gegenwart und für die Zukunft – und freue mich auf viele spannende Jahre.

© Swiss Economic Forum Magazin; 07.10.04; Nummer 2; Seite 7ff

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