Gender Diversity

50 FRAUENSTIMMEN

50 JAHRE FRAUENSTIMMRECHT – 50 FRAUENSTIMMEN

DIESE WOCHE: CAROLINA MÜLLER-MÖHL

Jüngst stand ich an einem Samstagnachmittag auf dem Bellevueplatz in Zürich und habe Passantinnen und Passanten an ihrem Fortkommen gehindert. Warum? Damit wir in Sachen Steuergerechtigkeit endlich vorwärtskommen! Ich habe mich für die Einführung einer Individualbesteuerung starkgemacht. Denn ohne verlieren wir zu viele Frauen für zu lange aus dem Arbeitsmarkt. Auf diese qualifizierten Frauen wollen wir nicht verzichten. Aber nur eine individuelle Besteuerung kann wichtige Erwerbsanreize für die Zweitverdienenden – das sind meistens Frauen – setzen. Für ein finanziell eigenständiges und selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter ist das wichtig.

Darum habe ich mir die Zeit genommen, mich den Vorbeilaufenden freundlich in den Weg zu stellen. Das kam durchweg gut an. Mein Fazit nach dem Stimmensammeln: Frauen in der zweiten Lebenshälfte können ein Lied von der steuerlichen Ungerechtigkeit singen. Die meisten Männer in diesem Alter sind oft gut informiert.

Sorgen aber bereitet mir die jüngere Generation. Noch in der Ausbildung und ein gutes Stück von der Ehe entfernt, zeigt sie sich zwar begeistert von sozialer Gerechtigkeit, aber dieses Steuerthema haben die meisten nicht auf dem Schirm. Wen wunderts? Denn erst mit Heirat wird die gemeinsame Steuerrechnung präsentiert, und erst im Nachgang gehen vielen Männern und Frauen die Augen auf: Mit Geburt der Kinder und den hohen externen Betreuungskosten geht die Rechnung eines Zweiteinkommens meist nicht mehr auf. Am besten also, der Zweitverdienende – oft die Zweitverdienende – bleibt zu Hause. Und so verlieren wir seit Generationen viele Frauen aus dem Arbeitsmarkt – und finden sie dann eben in zentralen Entscheidungspositionen nicht.

Seit dem Sammeltag am Bellevue gehen mir die politisch eher uninteressierten jungen Frauen nicht mehr aus dem Kopf. Wie können wir sie erreichen? Wir haben es schliesslich selbst in der Hand, unsere Gesellschaft so zu verändern, dass beide – Frauen und Männer – Beruf und Familie vereinbaren können. Weitermachen heisst darum die Devise, denn für die gerechte Sache zählt jede Stimme.

Die Kolumne ist am 10.9.2021 in der

Schweizer Illustrierte

erschienen.