«Wir können es uns nicht leisten, auf hochqualifizierte Frauen zu verzichten»


Im Interview mit dem Lifestyle Magazin «Choice of Helvetia» spricht Carolina Müller-Möhl über Unternehmertum, Gender Equality und Philanthropie.


Die erfolgreiche Schweizer Investorin und Philanthropin Carolina Müller-Möhl hat eine beeindruckende Karriere vorzuweisen. Neben der Führung der Müller-Möhl Group und der Müller-Möhl Foundation hat sie zahlreiche Ämter inne: Bei der NZZ und der Orascom Development Holding AG als Verwaltungsrätin und bei der Fielmann AG Deutschland als Aufsichtsrätin. Mit viel Leidenschaft setzt sie sich für die Ziele ihrer Förderstiftung ein, insbesondere für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Müller-Möhl Foundation steht für fortschrittliches Denken, gesellschaftliches Engagement und zeichnet sich durch vielseitige Projekte aus, die «Hand in Hand gehen».



Frau Müller-Möhl, Sie haben im Jahr 2012 die Müller-Möhl Foundation ins Leben gerufen. Warum, und welche Anliegen verfolgen Sie mit Ihrer Stiftung?

Vor dem Jahr 2012 war ich bereits als Philanthropin tätig, wollte dann aber meine verschiedenen gemeinnützigen Engagements unter einem Dach fassen. Nach der Prüfung verschiedener Möglichkeiten, habe ich mich für die Gründung einer Stiftung entschieden. Wichtig dabei ist mir, dass die Stiftung nicht ein sich selbst genügendes, in Formalitäten erstarrtes Eigenleben führt. Wir haben in den sieben Jahren eine administrativ sportliche, flexible und agile Organisation mit kurzen Entscheidungswegen und klaren Förderthemen aufgebaut. Einerseits konnte ich mit den Themen «Bildung», «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» sowie «Förderung des Wirtschaftsstandortes Schweiz» und «Philanthropie im Allgemeinen» mein bisheriges Engagement in die Stiftungsarbeit überführen. Andererseits bestätigte sich, dass unsere Themen für eine zukunftsfähige Schweiz wichtig sind. Zudem gehen unsere Themen Hand in Hand: Beispielsweise lässt sich eine Standortförderung erreichen, wenn wir Berufsfrauen beim Eintritt oder beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen. Und dann braucht es für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie Investitionen in frühkindliche Bildung.



Ihre Stiftung steht nicht für eine klassische Wohltätigkeitsinstitution, sondern für eine moderne Förderstiftung. Wie darf man sich das genau vorstellen?

Wir sind eine operative Förderstiftung. Wir nehmen also nicht Gesuche von Dritten entgegen, sondern wir kreieren eigene Projekte; manchmal auch in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen. Dabei liefern wir unser Know-how, investieren unsere Zeit, aktivieren unser Netzwerk, machen uns mit unserer Stimme für das Projekt stark und bringen Geldmittel ein. Damit unterscheiden wir uns von Förderstiftungen, die gemeinnützige Anliegen ausschliesslich mit Geldmitteln unterstützen.



Warum fördert Ihre Stiftung das Thema «Gemeinnützigkeit»?

Uns ist wichtig, dass sich Gemeinnützigkeit nicht nur auf Institutionen beschränkt. Denn nicht weniger wertvoll ist das Engagement eines jedes Einzelnen, im Kleinen wie im Grossen. Ob man sich für Bedürftige einsetzt, ob man ein Ehrenamt in der Gemeinde übernimmt, ob man Geld spendet oder ob man sich freiwillig in der Nachbarschaftshilfe engagiert: Von solchem Engagement lebt unsere Gesellschaft! Kritisch hingegen sehen wir es, wenn Eigeninitiative, Freiwilligenarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement zurückgehen. Das ist ein bedenklicher Bruch mit der bürgerlich-gemeinnützigen Tradition der Schweiz, die uns bisher so erfolgreich gemacht hat.



Können Sie uns ein aktuelles Projekt nennen, dem sich die Müller-Möhl Foundation widmet?

Dieses Jahr haben wir eine unabhängige, fundierte wissenschaftliche Studie in Auftrag geben. Diese Studie soll zeigen, ob die Einführung der Individualbesteuerung sich positiv auf die Partizipation von Frauen im Arbeitsmarkt auswirkt. Denn die aktuelle Besteuerung in der Schweiz setzt negative Erwerbsanreize für verheiratete Frauen. Als Zweitverdienende und Mutter lohnt es sich für viele Frauen aus steuerlichen Gründen oftmals nicht zu arbeiten. Das Gehalt geht weitgehend für die Kinderbetreuung und die Steuern drauf. Das ist ungerecht! Für die Frauen und für uns alle! Angesichts des Fachkräftemangels und dem Wunsch nach einer Produktivitätssteigerung, wie auch einer effektiven Gleichstellung, können wir es uns nicht leisten, auf die vielen hochqualifizierten Frauen im Arbeitsmarkt zu verzichten. Die Gesellschaft hat schliesslich häufig in lange Ausbildungszeiten dieser Frauen investiert. Viele Frauen wollen arbeiten, viele wollen nach einer Familienpause wieder beruflich einsteigen oder ihre Teilzeitpensen

erhöhen. Dabei müssen wir sie unterstützen. Das besagt auch das Ergebnis der Studie: Die Individualbesteuerung lohnt sich für die Schweiz! In einem ersten Schritt sehen wir es nun als unsere Aufgabe an, dies nach aussen zu kommunizieren.

Damit aber nicht genug! Denn selbst wenn die Individualbesteuerung kommt, braucht es ein ganzes Massnahmen-Paket, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Es braucht eine bedarfsgerechte und bezahlbare Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und eine Elternzeit. Ach ja und natürlich einen Wandel in der Geschlechter- und Rollenwahrnehmung. In diesen Punkten sind wir immer noch Entwicklungsland. Sie sehen: Bei uns in der Stiftung gehen die Themen wirklich Hand in Hand und vor allem: Uns geht die Arbeit erstmal nicht aus …




Noch immer haben es Frauen schwer, in den Geschäftsleitungen von Schweizer Unternehmen Fuss zu fassen. Welchen Rat geben Sie motivierten Frauen, die Karriere machen wollen?

Bleibt auf den Barrikaden! Durchhalten! Und: Verabschiedet Euch von falschen Idealen, die an Euch herangetragen werden! Beruf, Familie, gesellschaftliches Engagement und Freizeit unter einen Hut zu bekommen ist zwar nicht einfach, aber machbar! Zusätzlich braucht es hierzu eine progressive Gesellschaft, die endlich ihre überkommenen Stereotype ablegt. Ich will ja gar nichts Verrücktes! Ich wünsche mir einfach mehr Toleranz und Wertschätzung gegenüber alternativen beruflichen Entwicklungswegen. Frauen und Männer sollten nicht mehr an den weit verbreiteten klassischen Geschlechterrollen gemessen werden. Ich wünsche mir Familienväter, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht der Partnerin überlassen und Frauen und Mütter, die mit ihrer Karriere die Schweiz voranbringen: Das ist wichtig für unsere Zukunft. Und diese Zukunft sollten wir nicht den Ewiggestrigen überlassen.



Was wünschen Sie sich persönlich für die nächsten zehn Jahre?

Zehn Jahre, in denen ich mein Unternehmen weitergestalten und viele spannende und wichtige Projekte in meiner Stiftung vorantreiben kann. Die enormen Herausforderungen vor denen wir alle weltweit stehen – den Klimawandel nur einmal zu nennen – brauchen unseren ganzen Einsatz und zwar jetzt! Ich nehme mich da nicht aus der Verantwortung! Trotzdem, sicher ist, dass ich mir in den nächsten zehn Jahren auch mehr Zeit für mich nehmen werde.


Das Interview ist am 26. November 2018 in der

Choice of Helvetia

erschienen.