Vereinbarkeit Beruf und Familie

Wir müssen das Thema enttabuisieren


Luna, die Stiftung zur Förderung gemeinnütziger Institutionen gegen sexuelle Ausbeutung und Misshandlung von Kindern und Jugendlichen, engagiert sich nachhaltig für den Schutz kindlicher und jugendlicher Gewaltopfer. Fritz und Fränzi sprach mit ihrer Patin, Carolina Müller-Möhl, und dem Mitbegründer, Dr. med. FMH Manuel Jaques.

Interview: Anja Fiebiger

Foto: Christian Senti


Frau Müller-Möhl, weshalb sind Sie gerade Patin der Stiftung Luna geworden?

Müller-Möhl: Neuste Studien zeigen, dass etwa jedes dritte Mädchen und jeder siebte Junge in der Kindheit sexuelle Gewalt erfahren musste. Wir müssen das Thema der sexuellen Grenzüberschreitung enttabuisieren. – Und dabei will ich helfen.


Wann und warum wurde die Stiftung Luna gegründet?

Jaques: Anlässlich des Zwanzig-Jahr-Jubiläums des Lions Club Zumikon im Jahr 2004 äusserten die Mitglieder des Clubs den Wunsch, eine spezielle und langfristige Aktivität zu organisieren. Der damalige Präsident und ich machten den Vorschlag für ein Engagement zu Gunsten von Kindern, die Misshandlungen respektive sexueller Ausbeutung ausgesetzt sind. Einen Teil meiner Ausbildung absolvierte ich im Kinderspital Zürich, wo ich Kontakt hatte mit betroffenen Kindern und Erfahrungen sammeln konnte. Es ist mir damals aufgefallen, dass diese Thematik meist anonym und mit nur begrenztem Schutz für die betroffenen Kinder erfolgte. Der Lions Club ist Symbol für Tradition und Establishment, gerade diese Vertreter müssten sich vermehrt für solche Inhalte einsetzen.


Was bezweckt die Stiftung, und welche Ziele verfolgt sie?

Jaques: Erstens die direkte Unterstützung bei der Behandlung und Beratung betroffener Kinder und Jugendlicher, zweitens Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und drittens Prävention. Die Stiftung Luna verfolgt diese Ziele mit der Beschaffung von Geldern zur konkreten materiellen Unterstützung. Unser hochprofessioneller Stiftungsrat bietet Gewähr für eine seriöse Abklärung und Begleitung der Projekte.


Wie unterstützt die Stiftung betroffene Kinder, und wer kann sich an die Stiftung wenden?

Müller-Möhl: Als Direkthilfe unterstützen wir den Fonds für Härtefälle der Opferberatungsstelle Castagna sowie das Zürcher Meitlihuus. Im Präventionsbereich ist es der Verein Klein-Einstein, ein Treffpunkt für verwahrloste Kinder im Zürcher Kreis 4, sowie das Projekt Lilli, eine Internet-Plattform mit anonymer Beratung für Jugendliche. Neu werden wir den Ulmenhof in Zürich unterstützen, eine anerkannte Institution für drogenabhängige Erwachsene. Im Rahmen dieses Programms wird auch eine Therapiestruktur und Wohnmöglichkeit für Kinder dieser Eltern angeboten. Dabei handelt es sich häufig um Neugeborene, Kleinkinder und frisch eingeschulte Kinder, die unter erheblichen traumatisierenden Erlebnissen leiden. Es können sich aber auch betroffene Familienmitglieder an die Stiftung wenden, um beispielsweise hilfreiche Kontaktadressen zu bekommen.


Wo müssten Ihrer Meinung nach Politik, Schule und Gesellschaft im Zusammenhang mit der Prävention sexuellen Missbrauchs ansetzen?

Müller-Möhl: In erster Linie muss – gerade auch über die Medien – fundierter und sachlicher informiert werden. Und dann sollte der Schule eine zentrale Rolle zugewiesen werden. Jede Schule müsste zwei bis drei speziell ausgebildete Lehrkräfte als Anlaufstelle für betroffene Kinder und Eltern anbieten können. Auf politischer Ebene muss das Kinderschutzgesetz umfassend angewandt und wenn nötig ausgebaut werden. Dies beinhaltet auch eine effizientere Abwicklung im Rahmen von Fahndungen und Internet-Überwachungen. Leider sind hier die administrativen Wege zum Teil kompliziert und verschlungen, so dass die Täter bisweilen mehr Schutz finden als die Opfer.


Herr Jaques, Sie sind selbst Vater. Wie schützen Sie Ihre Kinder vor sexuellen Übergriffen?

Jaques: Die Problematik sexueller Übergriffe sollte uns als Eltern bewusst sein. In der Statistik sind Grenzverletzungen häufig. Zum Zeitpunkt, wo dieses Thema ein Problem ist, sind Kinder oft nicht genügend gereift, um sich schützen zu können. Deshalb ist es falsch, solche Themen zu tabuisieren. Ich werde also mit meinen Kindern darüber genauso offen sprechen wie über andere Gefahren. Gemäss meiner Erfahrung kann man mit Kindern auch komplexe Probleme altersentsprechend verständlich besprechen, ohne zu katastrophisieren. In erster Linie geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen. Genauso wie man ein Kind anleitet, den Fussgängerstreifen zu benutzen, kann man es auch für dieses Thema sensibilisieren. In Sachen sexueller Übergriffe können wir unsere Kinder aber leider nie hundertprozentig schützen. Doppelt wichtig ist es, das Thema Missbrauch in der Familie zur Sprache zu bringen, weil einem Kind der Begriff Missbrauch fremd ist; das Wort Missbrauch bedeutet ja, dass damit eigentlich nicht gerechnet werden muss. Und es kommt hinzu, dass Kinder ein hohes Loyalitäts- und Verantwortungsbewusstsein haben und leider den Täter deshalb oft mehr schützen als sich selbst.


Und wie sollen Eltern das Thema aufgreifen?

Jaques: Ich würde Eltern empfehlen, mit ihren Kindern offen über sexuelle Grenzverletzungen zu sprechen. Vielleicht muss man auch ein gewisses Misstrauen unterstützen. Das Wichtigste scheint mir das offene Gespräch ohne Tabuisierung. Kinder können auch ohne Erfahrung Inhalte verstehen, und man schützt sie nicht, indem man über eine Problematik nicht spricht, dann setzt man sie den damit verbundenen Gefahren unbewusst aus.

© 2005 «Fritz und Fränzi»