Schuld sind auch die befristeten Verträge



Warum fehlen Frauen in der Wissenschaft? Weil ihnen Vorbilder fehlen, Wissenschaftskarriere mit Familie schlecht zu vereinbaren ist. Und die Arbeitsbedingungen mies sind.

Obwohl mehr Frauen als Männer ein Studium abschließen, ist der männliche Anteil an Wissenschaftlern in Führungspositionen an Hochschulen exorbitant größer. 2013 betrug der Anteil der Professorinnen an den deutschen Hochschulen 21,3 Prozent. Je niedriger die Besoldungsgruppe, desto eher findet man Frauen hier. 38 Prozent der Juniorprofessuren sind mit einer Frau besetzt, aber nur 16,5 Prozent der C4/W3-Professuren. Und gerade einmal 14,5 Prozent der Hochschulleiter sind weiblich.

Über die Gründe für das Fehlen der Frauen an der wissenschaftlichen Spitze wird viel diskutiert. Setzten die Frauen die falschen Prioritäten,

wie es etwa Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhardt

meint? Liegt es daran, dass die

Karrierewege in der Wissenschaft eher an einer männlichen Biografie ausgerichtet

sind? Oder wird Frauen immer noch nicht zugetraut, forschen zu können?

Stephanie von Below, die seit vielen Jahren Wissenschaftler von der Promotion über Post-Doc, von der Juniorprofessor bis zur Professur coacht, ist davon überzeugt, dass die Frauen auf diesem langen Weg aus den Augen verlieren, was für ihre Karriere wirklich wichtig ist. Zum einen fehlt es dem weiblichen Nachwuchs an Vorbildern.

Hinzu komme, dass Männer häufig auch eher Männer förderten. All das führe dazu, dass sich weniger Frauen überhaupt eine Promotion zutrauten, sagt Elisabeth André, Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Multimodale Mensch-Technik Interaktion am Institut für Informatik der Universität Augsburg. „Es sei denn, Wissenschaftlerinnen kommen aus einem akademischen Umfeld, in dem ein oder beide Elternteile promoviert haben.“

Zugleich würden sich Männer häufig besser fokussieren, sagt von Below. „Ich beobachte immer wieder, dass Männer ihre Appell- und Beziehungsohren gut einklappen können, regelmäßig ihre Ziele überprüfen sowie das Nein sagen und Abgrenzen gelernt haben. Frauen können oft nicht so gut zwischen ihrer privaten und beruflichen Rolle trennen“, sagt die Trainerin.


Besseres Selbstmarketing

Ziel im Coaching sei deshalb das Selbstmarketing der Wissenschaftlerinnen. Hat die Forscherin ein Ziel oder lässt sie alles einfach auf sich zukommen? Welchen Schwerpunkt hat sie? Wer weiß davon und ist das alles auch strategisch sichtbar? „Ich schaue im Coaching auch immer auf Auftreten und Verhalten. Zum Beispiel achte ich genau darauf, welche genderspezifischen Signale von einer Wissenschaftlerin eingesetzt werden, um kompetent zu wirken“, erklärt von Below. Denn nach wie vor werden forsche Frauen häufig als unsympathisch wahrgenommen, während energisches Auftreten bei Männern gut ankommt.

Wichtig sei auch, die Selbst- und Fremdwahrnehmung unter einen Hut zu bringen. Und ist die Frau eher intro- oder extrovertiert? Am Ende kommt es darauf an, sich der unterschiedlichen Rollen als Wissenschaftlerin bewusst zu werden, denn nur so kann man sie schärfen. „Fürs Vorwärtskommen wird gute Kommunikation, ein solides Selbstmarketing, Vernetzung sowie Fachkompetenz gebraucht“, sagt von Below.


Karriereförderung wie in der Wirtschaft

Sollen Frauen in der Wissenschaft verstärkt auf ihrem Karriereweg gefördert werden, muss genau geschaut werden, in welcher Phase sie sich befinden, denn die Bedürfnisse sind unterschiedlich. „Ist die Doktorarbeit abgeschlossen, wird von Wissenschaftlern in der Regel erwartet, dass sie von jetzt auf gleich im Wissensbetrieb auf eigenen Füßen stehen. Wer dann in die Post-Doc-Phase einsteigt, fühlt sich häufig sehr allein gelassen und muss autonom arbeiten“, sagt die Karriereberaterin. Während es in der Wirtschaft für die Phase der beruflichen Etablierung Führungsnachwuchsprogramme gebe, hätten die Universitäten hier noch wenig zu bieten. „Junge Wissenschaftler müssen ähnliche Unterstützung erfahren, um sich aktiv auf die Anforderungen vorzubereiten, die an sie in Lehre, Führung und Forschung gestellt werden“, sagt von Below. Und Frauen bräuchten hier einen sensiblen Blick: Denn sie müssen meist in einem männlich geprägten Umfeld den Aufstieg schaffen. Problematisch sei auch, dass diese Phase der Karriere meist in die Jahre der Familiengründung fällt. Und immer noch lebe der Mythos vom 24 Stunden-Professor“, sagt von Below. Das mache es für die Frauen sehr schwer – besonders, wenn sie sich für Kinder entscheiden und ihrer Mutterrolle gerecht werden möchten. „Hier hilft Vernetzung, die eigenen Referenzwerte zu klären sowie beherzt am Rollenbild Wissenschaftlerin zu feilen. Das hilft auch den nachfolgenden Generationen von Frauen in der Wissenschaft und macht Mut“, ist von Below überzeugt.

André plädiert für Mentorenprogramme, bei denen die Wissenschaftlerinnen bewusst auch von männlichen Mentoren betreut werden. „Ein männlicher Mentor weiß nicht nur, wie der stark von Männern dominierte wissenschaftliche Betrieb tickt, sondern verfügt auch über Netzwerke, die für den weiblichen Nachwuchs hilfreich sein könnten“, sagt die Professorin.

Die wissenschaftliche Karriere an einer Hochschule war für Anna Pegels, die seit sieben Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn tätig ist, keine Alternative. „Der universitäre Weg bis zur Professur war für mich nicht attraktiv. Nicht nur, dass Hochschulen eine hohe zeitliche und örtliche Flexibilität erwarten und die Bezahlung und Ausstattung mit Forschungsmitteln meist schlecht sind. Auch ist dieser zähe Weg mit hoher Unsicherheit verbunden, denn an Hochschulen gibt es in der Regel nur befristete Arbeitsverträge mit kurzen Laufzeiten. Das Risiko, am Ende des Weges keine unbefristete Professur zu bekommen, ist hoch“, sagt Pegels.


Bessere Arbeitsbedingungen

Karriereberaterin von Below wünscht sich eine gezieltere Personalentwicklung an deutschen Hochschulen. „Bekommen Wissenschaftler die Möglichkeit, ihr Profil immer wieder in den verschiedenen Phasen ihrer wissenschaftlichen Laufbahn zu schärfen, funktioniert nicht nur der Übergang von der Promotion zum Post-Doc-Status und weiter zur Professur besser. Auch der Einstieg in die Wissenschaftscommunity ist leichter, wenn man ein klares Kompetenz-Portfolio hat“, sagt von Below.

Für Pegels braucht es im akademischen Mittelbau dringend bessere Arbeitsbedingungen. „Werden Arbeitsverträge früher entfristet sowie zusätzliche Stellen geschaffen, damit eine gewisse Planungssicherheit existiert, gewinnt die wissenschaftliche Karriere an Hochschulen auch für Wissenschaftlerinnen an Attraktivität“, sagt Pegels.

Wer seine berufliche Zukunft an einer Hochschule sieht, muss vor allem in weniger aussichtsreichen Fächern mit recht großer Unsicherheit leben, bestätigt André. „Auch wenn die Bedingungen für Wissenschaftlerinnen nach der Promotion in der Informatik sehr gut sind und der Nachwuchs hier keine Zukunftsängste haben muss, ist es nachvollziehbar, wenn junge Frauen nach dem Studium ein attraktives Angebot aus der Industrie einem befristeten Arbeitsvertrag an einer Universität vorziehen“, sagt die Professorin. „Die Angebote für Informatiker sind in der freien Wirtschaft so gut, dass die Hochschulen ihre Angebote anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Die Hochschulen täten gut daran, eine gleichstellungspolitische Einstellung zu entwickeln, flexible Arbeitszeiten sowie verlässliche Kinderbetreuung und Teamprofessuren zu ermöglichen, ist von Below überzeugt.

Aber ist das wirklich eine Frage, die nur für die Wissenschaft gilt? Professorin André findet die Debatte an dieser Stelle zu einseitig geführt. „Meiner Meinung nach ist es ein Trugschluss, dass diese Bedingungen an Hochschulen schlechter sind als in der freien Wirtschaft. Arbeitszeiten an einer Hochschule lassen sich oft flexibler gestalten als in vielen Unternehmen. Mittlerweile versuchen fast alle Hochschulen verstärkt, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Bereitstellung von familienfreundlichen Services zu verbessern“, sagt sie. „Solange sich jedoch nichts an den Vertragsbedingungen für den Mittelbau an Hochschulen ändert, besteht die Gefahr, dass der Frauenanteil in der Wissenschaft nach wie vor gering bleibt.“


Mit freundlicher Genehmigung der Zeit

Hockling, S. (2015).

Schuld sind auch die befristeten Verträge.

In: Die Zeit vom 17. April 2015.