Standortförderung

Management gegen Mobbing


Über psychischen Stress am Arbeitsplatz: Unsere Gesellschaft ist zwar erfolgreicher, aber auch ungemütlicher geworden. Mobbing kommt die Wirtschaft teuer zu stehen.

Psychischer Stress wird häufig tabuisiert – oder stillleidend ertragen. Doch jüngste Schlagzeilen rufen es uns wieder in Erinnerung: Unsere Gesellschaft ist vielleicht erfolgreicher, aber auch ungemütlicher geworden. Trotz Wohlstand und Bildung gehören Belästigung, Intrigen, Drohungen und Ausgrenzung in Schulen, in der Politik und leider auch in der Wirtschaft zum Alltag. Kaum mehr ein Bereich, der davon ausgenommen wäre. So hat die jüngste Studie des Seco und des Büros für Gleichstellung gezeigt, dass nicht weniger als die Hälfte aller Erwerbstätigen – also Frauen wie Männer – sexuelle Belästigungen schon mindestens einmal erlebt haben. Das Spektrum reicht von abschätzigen Sprüchen bis zu unerwünschten Berührungen oder schweren körperlichen Übergriffen.

Die acht Prozent aller Erwerbstätigen, die Mobbing-Opfer sind, bilden auf dem Papier zwar eine kleinere Zahl. Es sind damit aber nicht weniger als 301 000 Berufstätige, die etwa Ausgrenzung oder verdeckte Gewalt am Arbeitsplatz erleben! An unseren Schulen und Universitäten sind es zehn Prozent und damit weit über 100 000 Schüler und Studenten. Und gerade in der Schule hat dies gravierende Folgen, denn hier findet soziales Lernen statt! Erschreckende Zahlen – aber leider nur die Spitze eines Eisbergs. Viel grösser ist der Kreis jener, für die dauernde psychosoziale Spannungen und hoher Stress im Beruf zur «Normalität » geworden sind. Alle drei Phänomene, also sexuelle Belästigungen ebenso wie dauernde Spannungen und Mobbing, treten unabhängig von Geschlecht, Alter, Nationalität, hierarchischer Stellung oder Leistung auf. Die gesundheitlichen Folgen sind oft verheerend: Mobbing, als gezielte Aggression gegen Personen während längerer Zeit, führt in vielen Fällen zu Depressionen, Nervosität, vollständiger Arbeitsunfähigkeit und im Extremfall gar zu Selbstmord. Man hört das Argument, dass schon frühere Generationen sich durchzubeissen hatten. All die Mobbingklagen seien sowieso das Resultat einer schleichenden Verweichlichung der jüngeren Generation, und wir sollten uns, statt zu klagen, lieber über die tiefe Arbeitslosigkeit freuen. So schliesst man die Augen vor dem Missstand, um den es hier geht. Auch die Schweizer Gesellschaft lebt davon, dass wir gesund, innovativ und kreativ sind und dass wir Teamgeist beweisen – politisch in Konkordanz und Föderalismus, wirtschaftlich in interdisziplinären Teams. Die Schweiz zeichnet sich international dadurch aus, dass wir mit motivierten Persönlichkeiten Top-Dienstleistungen erbringen.

Da können wir uns solche Zustände ebenso wenig leisten wie die daraus folgenden personellen Ausfälle und Wechsel, Produktivitätsverluste und Gesundheitskosten. Die vom Seco untersuchte «Stress-Epidemie» verursacht jährlich vier Milliarden Franken an Produktionsausfällen. Gerade hat die Universität Zürich errechnet, dass mittlerweile jeder fünfte Einwohner in der Schweiz von nervlichen oder psychischen Problemen betroffen ist. Der Rhythmus, in dem Leistung erbracht werden muss, ist schneller geworden, die Konkurrenz auch innerhalb von Firmen wird härter, die Arbeitsplätze sind unsicherer geworden, Berufsbilder und Geschlechterrollen sind ins Wanken geraten. Das alles muss uns aber nicht zum Verhängnis werden. Leistung kann auch aus Freude erbracht, Konkurrenz als stimulierend erlebt werden. Entscheidend ist nicht, dass wir uns bitteren Erfahrungen, Kritik und steigenden Anforderungen entziehen müssten. Entscheidend ist, dass wir trotz Wettbewerb keine Feindseligkeit, trotz Qualifikation keine Demütigung, trotz Kritik keine Einschüchterung zulassen, dass Sympathie nicht in Belästigung umschlägt.

Diese Grenzen zu ziehen, ist die gemeinsame Aufgabe von Schulen und Unternehmen. Es gilt, den Funken frühzeitig zu erkennen, bevor es zum Flächenbrand kommt. Prävention, Schulung, Beratung, proaktives Management von Konflikten und Vorbilder sind dazu tauglichere Mittel als Leitbilder, die Lippenbekenntnisse zu Respekt und persönlicher Integrität enthalten. Es gibt engagierte Unternehmen und aufmerksame Schulleitungen, die sich aktiv mit dem Mobbingproblem befassen – es gibt aber noch zu viele, die dies nicht tun.

© 2008 «Bilanz»