Vereinbarkeit Beruf und Familie

Karrierefrauen – «Dann fangen sie an zu heulen»

Gelegentlich ist es gut, wieder einmal den Stand der Dinge unter die Lupe zu nehmen, wenn es um die Vertretung von Frauen in Top-Positionen geht. Die neue Studie des Credit Suisse Research Institute,

«Gender 3000»

, hat über 3000 Unternehmen weltweit befragt. Die Erkenntnisse sind erfreulich, teilweise überraschend – und, was die Schweiz angeht, ernüchternd. Kurz zusammengefasst: In Schweizer Verwaltungsräten hat die Vertretung von Frauen in den letzten acht Jahren um 55 Prozent zugenommen. Heute nehmen etwas mehr als 13 Prozent Frauen an Verwaltungsratstischen Platz. Das ist positiv, aber bescheiden, verglichen mit den knapp 25 Prozent in europäischen Board Rooms. Weniger erfreulich sind die Zahlen auf der Ebene der Geschäftsführung: Nur knapp 7 Prozent schaffen es ins Senior Management. Das ist gerade einmal halb so viel wie im globalen Durchschnitt.

Die nackten Zahlen sagen nichts über die Gründe dafür aus, warum es top ausgebildete Frauen – heute sind mehr als die Hälfte der Master- Absolventen und knapp die Hälfte der Doktoranden weiblich – auch 2016 hierzulande nicht auf die obersten Etagen schaffen. Natürlich liegt es auch an den Frauen. Von den 80 Prozent, die arbeiten, haben nur gerade 40 Prozent eine Vollzeitstelle. Mehr als die Hälfte der Teilzeit-Arbeitenden engagiert sich mit einem Pensum von 50 Prozent oder weniger. So ist eine Karriere kaum möglich, unabhängig davon, wie gut jemand ausgebildet ist. Damit verschwenden wir Talente und Geld, weil hohe Investitionen in eine teure Ausbildung nie zurückfliessen und am Ende von allen Steuerzahlern bezahlt werden.

Es fehlt aber auch an den nötigen Rahmenbedingungen, die es möglich machen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Schaue ich nach Frankreich, so ist es völlig normal, dass die Kinder am Morgen für die Tagesschule abgeholt und am Abend wieder zurückgebracht werden. In der Grande Nation diffamiert deswegen niemand die Mütter als Rabenmütter und die Kinder gedeihen ebenso gut wie unser Nachwuchs.


Howard gegen Heidi

Der grösste Stolperstein sind aber die «unconscious biases», die Stereotypen über Mann und Frau, die nur sehr schwierig aus den Köpfen der Führungselite in Politik und Wirtschaft vertrieben werden können. Ein Beispiel: Kurz nach der Gründung meines Family Offices, der Müller- Möhl Group, hatte ich eine Sitzung mit einem sehr bekannten amerikanischen Private-Equity- Anbieter. Wir waren uns zuvor noch nie begegnet. Ich betrat das Sitzungszimmer. Der etwas ältere Herr – der einen Nachtflug hinter sich hatte – war erleichtert über mein Erscheinen und sagte: «Ah, endlich kommt jemand, der mir einen Kaffee bringen kann!» Als ich später, nachdem ich ihm den Kaffee gebracht hatte, für die Verhandlungen ihm gegenüber Platz nahm, war es ihm äusserst peinlich, weil ihm seine eigene Voreingenommenheit bewusst wurde: Eine Frau kann ja nur für den Kaffeeservice zuständig sein.

Dass meine persönlichen Erfahrungen einen realen Hintergrund haben, lässt sich in zig Studien und im neuen Buch von Iris Bohnet, Verhaltensökonomin an der Harvard Kennedy School, nachlesen. Sie überprüfte Stereotypen mit einer besonderen Übungsanlage: 500 Studentinnen und Studenten der Harvard University legte sie zwei Bewerbungen vor: Eine von «Howard», der in Stanford studiert, in einem globalen Konzern gearbeitet hatte, Abteilungsleiter in einem Private-Equity-Fonds und anschliessend Venture-Investor war.

Die grosse Mehrheit empfahl Howard mit Bestnoten für einen Sitz im Verwaltungsrat. War die Bewerbung aber mit «Heidi» unterschrieben, fiel die Bewertung völlig anders aus. Der beeindruckende Werdegang von Heidi wurde viel kritischer und als Zeichen von übergrossem Ehrgeiz beurteilt, der die Kandidatin sehr unsympathisch erscheinen liess. Denn typische Führungseigenschaften passen nicht zu einer Frau. Bohnet empfiehlt deswegen, dass Bewerbungen – in einer ersten Bewertungsrunde – ohne Angabe des Geschlechts und ohne Namen geprüft werden, damit «unconscious biases» nicht schon zu Beginn die Chancen der weiblichen Bewerberinnen mindern.

An Erkenntnis fehlt es also längst nicht mehr. Aber am Willen, in einem gemeinsamen Effort das umzusetzen, was unumstritten ist. Die angemessene Vertretung von talentierten und top ausgebildeten Frauen auf der obersten Führungsebene von Politik und Wirtschaft. Denn gemischte Teams sind erfolgreicher. Dafür braucht es die Frauen selbst, die Unternehmen, die Politik, die Gesellschaft – und die Medien, die viel zu oft Stereotypen verstärken, die der Anerkennung der Frauen im Weg stehen.

Es gibt noch einiges zu tun, damit eine Episode wie diese endgültig der Vergangenheit angehört. An einem Nachtessen im kleinen Kreis klärte mich ein Top-Manager über seine vermeintliche Realität von Frauen mit Führungsverantwortung auf: «Wissen Sie, Frau Müller- Möhl, mit Frauen ist es so eine Sache. Wenn es schwierig wird, fangen sie an zu heulen. Das geht nicht im Geschäftsleben.» Noch Fragen?



Erschienen in der Handelszeitung am 20. Oktober 2016