Vereinbarkeit Beruf und Familie

Braucht es eine Frauenquote im Verwaltungsrat?


Braucht es eine Frauenquote im Verwaltungsrat?

Interview mit lic. rer. pol. Carolina Müller-Möhl


Frau Müller-Möhl, Sie haben im Jahr 2000 die Müller-Möhl Group als Single Family Office gegründet. Heute verwaltet das Unternehmen Vermögen von mehreren Hundert Millionen Franken. Seit 2012 haben Sie Ihre eigene Stiftung und die Liste der Unternehmen, in denen Sie in den letzten 20 Jahren als Verwaltungsrätin tätig waren oder sind, ist beeindruckend. Wie hat sich die Situation für Frauen in dieser Zeit verändert?

Im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Verbesserungen für Frauen ist ihre Situation auch in der Schweizer Wirtschaft und den Unternehmen besser geworden. Frauen sind im höheren Kader mittlerweile häufig vertreten. An die Spitze gelangen sie allerdings kaum. Auf CEO-Ebene der führenden Schweizer Unternehmen liegt der Frauenanteil bei 2,7%, im westlichen Europa «immerhin» bei 4,2%. Prinzipiell sind Frauen den Männern in der Schweiz gleichgestellt. In der Realität werden Frauen aber viele Steine in den Weg gelegt: 1) Die gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren setzt für zahlreiche Zweitverdienende – meist Frauen – negative Erwerbsanreize. 2) Die Krippen sind zu teuer und Ganztagesschulen hierzulande nicht überall zu finden. 3) Das althergebrachte Rollenverständnis einer Frau, nämlich Kinderbetreuerin, Haushälterin, Hauptverantwortliche für die Anliegen betagter Familienangehöriger und Managerin der sozialen Kontakte in- und ausserhalb der Familie zu sein, ist auch nicht karriereförderlich. Abhilfe verschaffen würde, und hier weiss ich mich im Einverständnis mit den Experten der OECD, eine Individualbesteuerung, die positive Erwerbsanreize setzt, u.a. für die geschätzten 50 000 Akademikerinnen hierzulande, die heute nicht berufstätig sind. Ausserdem eine bezahlbare und qualitativ hochwertige externe Kinderbetreuung und schweizweite Ganztagesschulen. Schliesslich ein Wandel im Rollenverständnis mit einer ausgeglichenen Verteilung familiärer Pflichten und dem Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Partner.


Nach Corporate-Governance-Regeln und aufgrund unternehmerischer Überlegungen soll ein Verwaltungsratsgremium ausgewogen und diversifiziert zusammengesetzt sein. Welche Rolle spielt das Geschlecht in diesem Kontext?

Erwiesenermassen verfügen diversifiziert zusammengesetzte Teams – und zwar auf allen hierarchischen Ebenen – über eine bessere Performance. Neben Charakteristika wie Alter oder Herkunft ist das Geschlecht sehr wichtig. Frauen bringen eine eigene Art zu denken ein und beurteilen Sachverhalte mit anderen Augen. Neue Dialoge entstehen. Diese Denk- und Arbeitskultur ist nicht nur den Frauen zu verdanken, sondern auch die Männer können es in dem neuen produktiven Mix endlich wagen, Rollen wahrzunehmen und Vorschläge einzubringen, die in einem rein männergeprägten Verwaltungsrat undenkbar wären.


Im letzten Sommer hat der Nationalrat im Rahmen der Aktienrechtsrevision Ja zur Frauenquote gesagt. Am 19. Juni hat sich nun auch der Ständerat klar für den Vorschlag entschieden. Hätten die Frauen es nicht auch ohne gesetzliche Richtwerte geschafft?

Ich denke, leider nein, solange strukturelle Hindernisse für Frauen in der Schweiz bestehen. Auch die Aktienrechtsrevision gibt Richtwerte vor und keine harten Quoten. Wenn erwiesenermassen Diversity den wirtschaftlichen Erfolg steigert, dann finde ich es richtig, wenn sich Unternehmen künftig hierzu äussern müssen. Die ganze Gesellschaft hat ein begründetes Interesse daran, dass Gleichstellung gelebt wird und damit verbunden unsere Wirtschaft besser auf Kurs bleibt. Weder bei der Gleichstellung noch beim Wirtschaftswachstum lässt uns die internationale Konkurrenz viel Zeit.


Dass 2018 37% der frei gewordenen Verwaltungsratssitze durch Frauen besetzt wurden, was einer Steigerung zum Vorjahr von 9% entspricht, deutet auf eine gewisse Signalwirkung des Gesetzesentwurfs hin. Aber kann das Gesetz die Gesellschaft beeinflussen, wenn eine Frauenquote im Kleid eines nicht sanktionsbewehrten Comply-or-explain-Prinzips nur für grosse börsenkotierte Gesellschaften daherkommt?

Es sind Schritte in die richtige Richtung und die grossen börsenkotierten Gesellschaften haben in ihren Bemühungen hoffentlich Signalwirkung für die KMUs, die überwiegende Mehrheit der Gesellschaften in der Schweiz. Obwohl ich persönlich eine liberale Position vertrete und gesetzliche Regelungen nur mit Sorgfalt und Bedacht eingesetzt sehen möchte, stelle ich in puncto Gesetz und gesellschaftlichen Wandel ein historisches Beispiel in den Raum: Im 19. Jahrhundert wurde in der Schweiz die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Dadurch wurde der unentgeltliche Besuch einer «Volksschule» während acht Jahren für alle Kinder von Gesetzes wegen obligatorisch. Was sind wohl die Fragen der damaligen zeitgenössischen Skeptiker gewesen? Etwa: «Vermag das Gesetz wirklich zu richten, was sich bisher gesellschaftlich nicht durchsetzen konnte?»


Welchen Frauenanteil in Verwaltungsräten sehen Sie als realistisch an?

Das Wirkungsvolle muss das Realistische sein: Haben wir einen Frauenanteil von 30% plus in Verwaltungsräten, dann bin ich überzeugt, dass der Wandel in der Unternehmenskultur von nachhaltiger Wirkung ist und das Unternehmen auf wirtschaftlichem Erfolgskurs sein wird.


Inwiefern können Sie Ihr persönliches Engagement für Frauen in den verschiedenen Gremien, in denen Sie Einsitz haben, einbringen?

Gleichstellung ist ein Teil meiner Lebensüberzeugung, die in die Arbeit im Rahmen meiner Mandate miteinfliesst. Für Erfolg braucht es Begeisterung, Leidenschaft, Expertise, Verantwortungsbewusstsein, Kooperation und vieles mehr. In einem gemischten Team kommen diese Eigenschaften am besten zum Tragen.


Welche Ratschläge würden Sie jungen Frauen, die Karriere machen wollen, mit auf den Weg geben?

Ihr müsst Mut und Durchhaltewillen haben! Networking ist wichtig, genauso wie die Kommunikation nach aussen: «Ich will den Job und ich bin im Rennen.» Nicht zu vernachlässigen ist ein selbstbewusster und spielerischer Umgang mit Idealen, die an euch herangetragen werden. Beruf, Familie, gesellschaftliches Engagement und Freizeit unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach, aber machbar – und es lohnt sich! Für die enormen Herausforderungen, vor denen die Welt steht, braucht es entschlossene, agile, gebildete, innovative und kooperative Persönlichkeiten. Ich kenne viele kompetente Berufsfrauen, die das sind – weit über 30%.

Das Interview ist am 9. September 2019 in

Recht relevant.

erschienen.