Standortförderung

«Wir sollten unseren eigenen Weg finden»


Im Gespräch mit der Schweizer Unternehmerin und Stifterin Carolina Müller-Möhl über die Zusammenarbeit unter Philanthropen und die unterschiedlichen Kulturen des Gebens.



DIE STIFTUNG: Brauchen wir mehr Mäzenatentum, sprich große Vermögensmassen im Zusammenschluss, damit die großen Probleme dieser Welt gelöst werden können?


Carolina Müller-Möhl: Unsere Welt ist zu komplex, als dass die Philanthropie alleine die großen Probleme bewältigen könnte. Ich glaube aber an ihre immense Wirkungskraft. Philanthropie kann Probleme aufgreifen und zu deren Lösung beitragen. Das freiwillige Engagement von Einzelpersonen und Institutionen wie Stiftungen ist für das Wohl der Gemeinschaft von enormer Bedeutung. Dabei unterstreiche ich immer wieder: Die Philanthropie beschränkt sich nicht auf Spendengelder, sondern der Einsatz von Ressourcen wie Zeit, Wissen, Netzwerk oder der eigenen Stimme ist ebenso wertvoll. Philanthropen hat es immer gegeben und kann es nie genug geben.


DIE STIFTUNG: Woran fehlt es denn eher? An neuen Visionen oder an der Bereitschaft sehr vermögender Schweizer, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Vermögen zu erklären?


Müller-Möhl: An Visionen fehlt es bestimmt nicht! Für die Philanthropie ist es unbedeutend, wenn sich vermögende Personen öffentlich zu ihrem Reichtum äußern oder erzählen, wie sie diesen einsetzen. Viel wichtiger ist es, dass relevante Persönlichkeiten mit ihrer gewichtigen Stimme für mehr philanthropisches Engagement werben. Ganz nach dem Motto „Tue Gutes und sprich darüber“. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht und schon einige Personen mit meiner Passion für Philanthropie infiziert. Wenn Philanthropen vermehrt über ihr Wirken sprechen, können sie anderen mit ihren Aktivitäten Vorbild sein, einen Wissensaustausch anregen und ihre Wirkung verstärken.


DIE STIFTUNG: Zahlreiche bekannte Milliardäre haben sich bereits dem Giving Pledge in den USA angeschlossen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dies in der Schweiz mit einer nationalen Kampagne zu wiederholen?


Müller- Möhl: Zum heutigen Zeitpunkt: keine. Die Schweizer Kultur des Gebens ist zu unterschiedlich, als dass sich hierzulande eine Kampagne wie der Giving Pledge durchsetzen würde. Während die Schweizer eher im Verborgenen wohltätig aktiv sind, gehört öffentliches Spenden für wohlhabende Amerikaner zum guten Ton. Das mag neben den kulturellen Unterschieden auch daran liegen, dass in den USA hohe Erbschaftssteuern anfallen; je nach Bundesstaat haben ihre Bürger an die 50% eines Erbes zu versteuern. Entsprechend entscheiden sich immer mehr Amerikaner, ihr Geld einer Stiftung statt dem Staat zu hinterlassen. Verschiedene Länder, verschiedene Sitten. Diese kulturellen Unterschiede sind zu respektieren.


DIE STIFTUNG: Welche Anpassungen gegenüber der US-amerikanischen Initiative müssten vorgenommen werden, damit dieses Vorhaben auch in der Schweiz Aussicht auf Erfolg hätte?


Müller-Möhl: Das ist nicht einfach zu beantworten. Vielleicht müsste die öffentliche Selbstverpflichtung wegfallen, da viele Schweizer Geber nicht gerne über ihr Engagement sprechen und das Scheinwerferlicht meiden. Zudem müssten Anpassungen vorgenommen werden, die den Fakt berücksichtigen, dass in derSchweiz viele Vermögen von ganzen Familienverbänden kontrolliert werden – und nicht wie in den USA von einer Person. Doch statt die amerikanische Initiative zu adaptieren, sollten wir besser unseren eigenen Weg finden, die Philanthropie in der Schweiz zu stärken. Denn leider sind bis heute noch viele Schweizer der  Philanthropie gegenüber kritisch eingestellt, insbesondere wenn es sich um private Initiativen in staatlichen Hoheitsgebieten, wie etwa dem Bildungs- oder Gesundheitswesen, handelt. Viele sind der Meinung, der Staat soll die alleinige Verantwortung tragen, und verstehen sich als „Hüter der Demokratie“.


DIE STIFTUNG: Inwiefern können Mäzene die von ihnen geförderten Organisationen mit Capacity Building unterstützen?


Müller-Möhl: Indem sie dazu bereit sind, in die „langweiligen“ Bereiche wie IT, Human Resources, Fundraising und Ähnliches zu investieren. Diese Tätigkeitsfelder müssen in jeder Organisation funktionieren, um professionelle und wirksame Arbeit zu leisten. Zu selten fördern Mäzene den Aufbau von Kompetenzen und Ressourcen ihrer Förderpartner, obwohl diese oft als Unternehmer oder aus der Wirtschaft stammend über viel Know-how verfügen. Die Müller-Möhl Foundation tut dies regelmäßig, indem sie ihre Partner etwa beim Aufbau einer Kommunikationsstrategie unterstützt, die für ein erfolgreiches Fundraising notwendig ist. Dieses Mentoring nützt der Organisation langfristig mehr als ein überwiesener Geldbetrag.


DIE STIFTUNG: Gibt es alternative Plattformen zu Giving Pledge? Wo bleibt der Bürger in diesem Konstrukt?


Müller-Möhl: Als Alternative sehe ich zurzeit die stärkere Kooperation unter Philanthropen. Diese ist aber nur dann möglich, wenn man weiß, was der andere tut. Deshalb hat beispielsweise die Müller-Möhl Foundation alle Stiftungen, die sich in der Schweiz mit frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung befassen, mehrfach zu einem Round Table eingeladen. So wollten wir Licht ins Dunkel bringen, wer sich wo für welche Projekte engagiert. Nur mit diesem Wissen können potenzielle Synergien evaluiert und genutzt sowie Doppelspurigkeiten vermieden werden. Da jeder Bürger ein Philanthrop sein kann, sollten wir diejenigen, die über das Steuerzahlen hinaus einen Beitrag für die Gesellschaft leisten wollen, immer und überall mit offenen Armen empfangen. Schließlich ist soziales Engagement so alt wie die Menschheit selbst.


DIE STIFTUNG: Welche Strategien braucht die Welt der guten Taten, damit sie mehr Gewicht nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im wirtschaftlichen und politischen Diskurs bekommt – in der Schweiz und in Europa?


Müller-Möhl: Allem voran müssen wir die Zusammenarbeit fördern, die der Philanthropie ermöglicht, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und ihre Wirkung zu verstärken. Philanthropen von heute sollten nicht – oder nicht ausschließlich – soziale Spender, sondern soziale Investoren sein. Gute Antworten auf gesellschaftspolitische Herausforderungen müssen Innovation und Nachhaltigkeit berücksichtigen und sich von der Forschung bis hin zur Umsetzung um die gesamte Wertschöpfungskette kümmern.


DIE STIFTUNG: Hoffen wir, dass sich viele Philanthropen finden werden, die sich mit ihrer neuen Rolle anfreunden können. Frau Müller-Möhl, vielen Dank für dieses Gespräch.


Das Interview führte die in Zug (Schweiz) lebende Sponsoring- und Stiftungsberaterin Dr. Dr. Elisa Bortoluzzi Dubach.


Quellenangabe: DIE STIFTUNG