Bildung

«Populismus, Post-Truth, Polemik – was geschieht mit unseren Werten?»


Der Umbruch in der Gesellschaft wird spürbar – müssen wir uns jetzt auf düstere Zeiten gefasst machen? Werden Populismus, Post-Truth und Polemik zunehmend die gesellschaftlichen Themen dominieren? Diesen und weiteren Fragen stellten sich Richard David Precht und Ernst Fehr am 16. März 2017 an der Universität Zürich. Veränderung ist unumgänglich und wird die Gesellschaft vor grosse Herausforderungen stellen – doch die beiden Professoren blicken dennoch vorsichtig optimistisch in die Zukunft.

Fotos: eveni.to

Die Aula der Universität Zürich war am Event mit Richard David Precht – gemeinsam organisiert vom Department of Economics und der Müller-Möhl Foundation – besetzt bis auf den letzten Platz. Nach der Begrüssung durch Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich, und Carolina Müller-Möhl richtete sich der Gast des Abends, Richard David Precht, als erstes mit einer Frage an das Publikum.

«Was ist denn eigentlich ein Philosoph, meine Damen und Herren?», warf Precht in die Runde, um sogleich eine Antwort darauf zu geben: «Philosophen, das sind diese älteren Herren in schlecht sitzenden Anzügen, die Probleme diskutieren, welche es ohne sie nicht gäbe». «Doch», so Precht weiter, «besitzen sie eine wichtige Kompetenz, die Inkompetenzkompensierungskompetenz. Ihre Aufgabe ist es, im Meer der Inkompetenz Brücken zu schlagen zwischen Kompetenzinseln – und das versuchen wir heute Abend zu tun».


Nährboden für Populismus

Für Richard David Precht ist klar: wir leben in revolutionären Zeiten, an der Schwelle eines neuen Zeitalters. Die Digitalisierung bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Nicht nur soziale Interaktion zwischen Menschen, sondern auch die Arbeitswelt steht vor einem Umbruch. Und die Bevölkerung spüre unterschwellig, dass das vorherrschende Gesellschaftsmodell keine Zukunft habe und die Gesellschaft – zumindest ökonomisch – gegen eine Wand fahre. Dieses Gefühl, so Precht weiter, führe zu einer Retropie – der Glorifizierung der Vergangenheit. Denn die Zukunft, erscheint düster und wenig verheissungsvoll, geprägt von Ungleichheit und einer immer grösser werdenden Schere zwischen Reich und Arm.

Dies, erklärte Precht, biete einen optimalen Nährboden für neue Blüten des Populismus. «Denn wer den Menschen keine positive Zukunft aufzeigen kann, muss sich nicht wundern, wenn sie in der Folge zunehmend wehmütig in die Vergangenheit blicken». Die Behauptung, dass wir in einem postfaktischen Zeitalter leben, relativiert der Philosoph allerdings. Alternative Fakten, so Precht, seien so alt wie die Menschheit. Auch Lügen sei nichts Neues, nur die Beliebigkeit hätte sich verändert – es würde uns in unserer Eventgesellschaft an Zeit, Tiefe und der Bereitschaft zu überprüfen und abzuwägen fehlen.


Philosophie trifft auf Volkswirtschaft

Im Anschluss an sein Kurzreferat diskutierte Richard David Precht mit Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomie und experimentelle Ökonomie an der Universität Zürich unter der Leitung von Wirtschaftsjournalistin Susanne Giger über die künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen und darüber, wie man Populismus, Post-Truth und Polemik begegnen soll.

Die 4. industrielle Revolution wird Realität – aber sind wir überhaupt fähig, die seit rund 250 Jahren vorherrschenden Werte der Leistungsgesellschaft zu überwinden? Ernst Fehr relativierte: «Der Wandel der Arbeitswelt begleitet den industriellen Kapitalismus, seit es ihn gibt – schon in den 70er Jahren hat man postuliert, dass Fortschritt arbeitslos mache».

Richard David Precht stimmte dieser Aussage zwar zu, gab aber zu bedenken, dass die jetzige industrielle Revolution unter komplett anderen Vorzeichen stehe. «Zum ersten Mal werden keine neuen Märkte oder Rohstoffquellen erschlossen, sondern lediglich bereits bestehende Märkte effizienter gemacht – dies wird für die Arbeitswelt tiefgreifende Veränderungen bringen». Neue Arbeitsplätze, so Precht, entstünden im 4. Sektor – also gerade nicht in demjenigen, in dem Jobs verschwinden werden. Unser heutiges Bildungssystem sei nicht auf die künftigen Ansprüche der Arbeitswelt vorbereitet, der Handlungsbedarf also äusserst akut.


Düstere Zukunft oder Hoffnungsschimmer?

Dies verdeutlicht denn auch ein zentrales Anliegen des Philosophen: «Wir müssen uns doch auf alle möglichen Szenarien vorbereiten und die Situation kritisch reflektieren – damit wir im Ernstfall vorbereitet sind». Denn, so ist er sich sicher, das klassische Modell der lebenslangen Beschäftigung, habe über kurz oder lang ausgedient.

Beide Professoren blicken dennoch optimistisch in die Zukunft. Ernst Fehr betonte die Wichtigkeit, Wertekonflikte auszutragen und zu reflektieren und hofft auf die Zivilgesellschaft und ihr Engagement. Und so gibt er dem Publikum zu bedenken: «Wir dürfen ob all der düsteren Prognosen nicht vergessen, dass wir in einem ausserordentlichen Zeitalter leben. Noch nie war der Wohlstand höher und die Arbeitslosigkeit tiefer». Und auch Richard David Precht ist überzeugt: «So lange die Populisten wirtschaftlich nichts anzubieten haben, stellen sie keine akute Bedrohung für unsere Gesellschaft dar».

© Aileen Zumstein Communication

Mehr zum Philosophen Richard David Precht im

Interview

der Sonntagszeitung. Weitere Impressionen vom Anlass finden sie

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